Ein Brief

Hallo Angelika,

nein, ich werde dich nicht Mama nennen. Denn das warst du nie. Nicht für mich. Nicht für meine Schwestern. Nicht für uns. In deinem Leben ging es oft um Dich. Nicht um deine Familie. Nicht mal um die, in die Du geboren wurdest. Du hast deinen Vater bei uns gelassen um frei zu sein. Wofür? War es das wert? Meine Schwestern haben keinen Kontakt zu Dir, du kennst nicht einmal deine beiden Enkelkinder. Und weißt du was? Das ist gut so. Du bist gegangen. Es war deine Entscheidung.

Ich werde das nie verstehen. Und ich werde es nicht vergessen. Ich werde nicht vergessen, das Du mich im Stich gelassen hast. Ich werde nicht vergessen, dass Du mich missbraucht hast um Papa Erpressungsbriefe zu bringen. Auch Deine Kaltherzigkeit werde ich nicht vergessen. In unserer Familie gab es keine Liebe. Und das ist deine Schuld.

Ich weiß nicht, was in deinem Leben schief gelaufen ist, um so zu werden. Ich will es auch nicht wissen. Ich bin nur froh, dass ich nicht so geworden bin. Trotz des Traumas, dass deine Entscheidung zu gehen bei mir hinterlassen hat.

Vor ein paar Jahren hast Du mir Schmuck zu Weihnachten geschenkt. Ich weiß nicht, was Du Dir dabei gedacht hast. Vermutlich gar nichts. Der Schmuck war zu klein. Dir hätte auffallen müssen, dass er einem Kind gepasst hätte. Aber eben nicht mir. Deiner erwachsenen Tochter. Du hättest das sehen können. Wenn ich dir etwas bedeuten würde.

Zu meinem Geburtstag hast du angerufen. Du vermisst mich, hast Du gesagt. Wir wissen beide dass das gelogen ist. Denn wäre dem so würdest Du dich hin und wieder melden. Gerade jetzt. In der Pandemie. Das tust Du aber nicht. Weil wir beide wissen, dass ich seit fast 30 Jahren keine Rolle mehr spiele. Erinnerst Du Dich? Du wolltest unbedingt arbeiten. Versteh mich nicht falsch, dagegen sage ich nichts. Aber es war Dir egal, was aus mir wird. Papa war den ganzen Tag arbeiten, meine Schwestern fast erwachsen. Nur ich war übrig. Wusste nicht wie man wäscht. Oder was zu essen macht. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wäre Oma nicht gewesen. Du mochtest Oma nicht. Du mochtest niemanden von uns. Vielleicht weil Du dich immer unterlegen gefühlt hast. Intellektuell betrachtet.

Vor ein paar Jahren bist Du dann psychisch krank geworden. Hast mir und meinen Schwestern lange Briefe geschrieben. Papier mit hohlen Worten. Ich weiß nicht ob Du geglaubt hast damit etwas gut machen zu können. Vielleicht war es auch nur pro Forma für die Therapie. Ich weiß es nicht. Und es ist mir egal.

Du bist mir egal. Ich empfinde nichts für Dich. Allenfalls bemitleide ich Dich. Ich glaube nicht, dass Du da bist, wo Du sein wolltest. Aber wir alle bezahlen einen Preis für unsere Entscheidungen. Ich habe deinen Preis mitbezahlt. Damit ist jetzt Schluss. Ich habe genug bezahlt.

Heute wurde mir ein Trauma gelöst. Wofür ich sehr dankbar bin. Ein weiterer Schritt in ein Leben ohne Dich. Für meinen eigenen Frieden verzeih ich Dir. Aber ich vergesse es nicht. Du wirst aus meinem Leben verschwinden. Darüber bin ich nicht froh. Ich hätte gerne eine Mutter gehabt.

Ich hoffe, Du findest irgendwann Deinen Frieden. Ich werde meinen Weg gehen. Ohne Dich. Ich hab es verdient glücklich zu sein. Und ich werde mir mein Glück nehmen. Ich habe genug gelitten.

Gruß,

Deine jüngste Tochter

4 Kommentare

    1. Dankeschön ??

      Ich hab meinen Frieden damit geschlossen. Es kam nur heute auf, weil da noch ein Trauma auftauchte, aus der Zeit. Jetzt kann ich damit auch abschließen und das ist wichtig ?

  1. Das haut rein! Bei mir war es nicht so schlimm, aber das Gefühl, im Stich gelassen zu sein kann ich sehr gut verstehen. Man wird stark, aber nicht aus Freude, sondern um sich zu schützen. Eine traurige Kraft. Ich freue dass du das Trauma überwunden hast!

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